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In unserem Alltagsverständnis von
Ästhetik
herrscht eine genaue Vorstellung davon, was als schön und was als häßlich definiert wird. Betrachtet man die Ausmaße
der Aktivitäten zur Konservierung des jugendlichen Aussehens und der Retuschierung von Altersspuren, die einen beträchtlichen Teil unserer Aufmerk- samkeit einnehmen, kann man feststellen, daß Jugendlichkeit zur Voraussetzung für Schönheit wird. Das Alter gilt als das
Ende der Schönheit. Das Alter - der alte Körper
- wird aus dem allgemeinen Ästhetikverständnis ausgeschlossen, in dem der naturgemäße Verlust von Jugendlichkeit durch den biologischen Alterungsprozeß mit dem Verlust von Schönheit gleichgesetzt wird. Diese Gleichung findet sich in historischen Alters-Körperbildern wieder, für die zahlreiche Werke aus
Kunst und Literatur Garant sind. In unserer individualistischen Gesellschaft
nimmt das Äußere – der Körper – einen hohen Stellenwert ein. Attraktivität und gutes Aussehen gelten als Synonyme für Gesundheit, Jugendlichkeit, Dynamik, Erfolg und Potenz und als Inbegriffe innerweltlichen Glücks. Der Körper wird zunehmend als machbar und gestaltbar erfahren und wird zum identitätsstiftenden Projekt. Massenphänomene wie Verschö- nerungsboom, Körperkult und Perfektionswahn sind die kulturellen Folgen dieser "Ästhetisierung der körperlichen Erscheinung". Fitnesstraining, Bodybuilding, Schlankheitsdiäten und
Schön- heitsoperationen
arbeiten am maßge- schneiderten Körper und an der Konservierung von Schönheit. Jugendlichkeit wird hier zur maßgeblichsten Determinante, so daß alle Anzeichen des Alterns nicht nur retuschiert, sondern auch so weit wie möglich hinaus- geschoben werden sollen. Dabei wird
Jugendlichkeit
zum alleinigen Maßstab für die Bewertung körperlicher Schönheit und unter Aufbietung aller Künste und unter der Leugnung der Realität wird versucht, diesem Ideal zu entsprechen.
In dieser jugendverherrlichenden Gesellschaft
wird das Alter verleugnet und verdrängt. Der alte Körper führt vor Augen, daß die gesellschaftlichen Ideale von Jugendlichkeit und Schönheit nicht ewig dauern werden und letztendlich beraubt er uns damit der Illusion vom endlosen Fortgang. Er steht als Symbol für die
Vergänglichkeit
und die Nähe zum Tod. Der uralte Menschheitstraum von der Unsterblichkeit findet seine Entsprechung im neuzeitlichen Körperkult, in dem Jugendlichkeit zur populärsten Waffe in einer weltweiten Kampagne für die Abschaffung des Todes geworden ist.
Eine Weile läßt sich der Spiegel
vielleicht noch überlisten, doch letztlich "verdirbt" das Alter alle Versuche der Verjüngung. Die biologischen Veränderungen und Verfall- serscheinungen des Alters werden zu erkennbaren Zeichen der Vergänglichkeit, die gesellschaftlich aus der Angst vor Alter und Tod heraus als häßlich definiert werden. So wird dem alternden Körper nicht nur jegliche Attraktivität abgesprochen, sondern auch, was an den Körper gebunden ist: sexuelle Aktivität, erotische Ausstrahlung und die Dimension des Begehrens und der Sinnlichkeit. So ist nicht nur Jugendlichkeit Voraussetzung für Schönheit, sondern wird auch zur Bedingung für Sexualität.
[Druckfassung] |
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